2006-06-09 13:37
der achte tag
es funktioniert nicht. wie man sieht. der gute wille ist da. aber es fehlt an umsetzungsvermögen. es fehlt an ausdauer. an disziplin. die ausreden vor sich selbst sind die schlechtesten, wirken aber am besten. was soll man also tun?
verschieben ist die losung. eine lösung gewiss nicht. aber einfach. jeden tag aufs neue den leeren bildschirm des wortprozessanleiters gegen überfüllte tabellen und bunte graphen eintauschen. jeden nächsten tag nach kürzerem versuchen. "heute nicht", denke ich noch vor dem einschalten. dabei ist das können dem wollen inzwischen ein spiegelbild geworden. vielleicht ist es ja ein krankheitsbild, trotz enormen zeitvorrats nichts auf die reihe zu bekommen. die zeit ist da, der wille ist da, das rationale verstehen des sinns. das gefühl es zu wollen. und dennoch. leer bleiben die seiten. nur sporadisch fallen worte aus den fingern. nicht mal mehr auf papier. der freie fluss ist gestaut und die ideen versickern im trocken boden einer literarischen einöde. keine nutzbare energie zu gewinnen. nur kopfschütteln, enttäuschtes. ich gehe zu einem neuen arzt. empfohlen von meiner freundin. ein alternativer. soll sogar gegen schreibblockkaden ein paar pillchen haben. doch statt mir diese zu geben redet er. durchdringt mich mit seinen augen und seinem esoterischen geschwafel. dabei habe ich den beschissensten tag hinter mir. das schwüle wetter macht mich schwitzen. drei liter wasser habe ich bis mittag getrunken und war nicht ein einziges mal pinkeln. verträge abwickeln. vier stück. und jeden in einem anderen stadtteil. ich weiß nicht, ob der job im winter oder im sommer schlimmer ist. sicher ist es meine wahl. hmh, ich verstehe. aha... hatte ich das schild übersehen, das ihn als psychologen auszeichnete? was sind das für gerüche in diesem raum? ich hätte einfach gehen sollen. schon die musterung der sprechstundenhilfe hatte mich warnen wollen. dies ist nicht mein ort. hier gibt es keine heilung für mich. auf meinen inneren arzt hätte ich hören sollen. er erzählt es mir gerade mit einem schäbigen grinsen, das nicht ganz echt ist. ich sehe die angst in seinen augen. meine gegenargumente waren zu schlüssig. wieviel geld verliert er, wenn ich jetzt gehe und nie wiederkomme? liegt es daran? oder ist er ein krankhafter weltverbesserer, der nicht mehr einschläft heute abend, falls ich aufstehe und einfach den raum verlasse? ich gehe nicht. versuche ihm zu erklären, warum ich fluchtgedanken habe. was ich denke, das der grund dafür sei? irgendwas in meiner kindheit muss sich doch finden, als ausrede. ich führe ein beruhigunsgespräch, damit er mich gehen läßt und nicht mehr festhält mit seinen magischen augen und seinen flehenden worten. ich starre zurück bis mir schwindelig wird, spiele indianerblick. doch selbst in einem moment wie diesem, wo alle geschütze hochgefahren, die mauern entsichert und alle sinne auf äußerste verteidigung eingestellt sind, selbst in solch einem egorativen ausnahmezustand, versagt die muse. der schöpfungsagent klemmt. nicht der kleinste finger kreativität wird mir gereicht. aus. gehirn tot. die hummeln tanzen um meine nase. das bierglas interessiert sie nicht. hätte ich limo bestellt könnte ich nicht trinken, aber atmen. es ist sommer und ich bin frei. ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lang es her ist, wie lang es dauerte. irgendwann saß ich hier. den arm auf dem tisch, die hand um das glas gelegt. die sonne im augenwinkel. das rauschen der bäume hat mich zurückgerufen. "missbraucht" schallt das echo in meinem bauch leise nach. ich trinke ohne hast als die hummeln sich zu einem neuen gast begeben haben. langsam wird es kühler. endlich. es fröstelt mich sogar. ein wenig mehr energietanken wäre nach diesem erlebnis heute vielleicht doch gut gewesen. geruch und feuchte kleidung hin oder her. aber die nudeln tun es auch. den rucola esse ich nicht. zu grün. die erinnerung an ihn entsteht dabei ganz willkürlich. weil ich es nicht allein schaffe, das weiß ich, hole ich das handy raus und den terminplaner, um die freundin anzurufen. die mit der arztempfehlung. sie geht nicht ran. dafür ist im planer noch genügend platz im heutigen tag. ich mache mir notizen und vergesse die gerösteten pinienkerne am tellerrand. als die kellnerin ein neues bier bringt frage ich sie nach ein paar bögen papier, wenn möglich recyceltes, und mich, ob dies nun sein verdienst ist, ob er das gewusst hat mit seiner überirdischen überzeugung, daß mein besuch bei ihm ganz und gar keine fehlentscheidung war. während die rechnung gestellt wird schreibe ich der freundin eine sms. "danke für die nummer. geht mir schon besser. zum meditieren komme ich aber nicht mit. ;-) liebe grüße, michael." geworfen und getroffen durch autor
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