2007-02-01 15:27
ich will raus
dieses gefühl steckt tief. es begleitet mich durch gute zeiten und durch schlechte zeiten. mal ist es weniger stark, mal sprengt es mich gar körperlich. oft ist es nur latent vorhanden, unterbewusst. aber nie existiere ich ohne es. ich bestimme alle meine handlungen unbewusst damit. ich will raus.
letzte nacht stand ein taxi direkt vor unserem mehrfamilienhaus. um so späte stunde war sonst eigentlich immer ich der einzige, der im umkreis noch wach war. im hausflur traf ich dann eine mitbewohnerin, die ich sonst äußerst selten zu gesicht bekam. obwohl ich hier schon seit mehr als fünf jahren lebte, war sie mir vielleicht insgesamt nur sieben mal über den weg gelaufen. und dies auch nie zufällig, sondern weil sie schritte im haus gehört hatte oder ihren treppenabsatz mit solch einer penibilität säuberte, dasz ihr in den stunden, die sie damit zubrachte, alle anderen hausbewohner auch begegnet sein mussten. es war also überhaupt schon etwas besonderes ihr ohne hausinternen grund zu begegnen. und dann sollte ich auch noch erwähnen, dass es bereits vier uhr nachts, oder morgens in der früh, war. außerdem war sie auch nicht mehr die jüngste, die wie ich um eine solche zeit noch von einer party zurückkam. dennoch war sie da. und munter war sie und gut gelaunt – die begegnungen davor zeugten nie von einer solche stimmung – sie lächelte mich sogar an und als ich sie nach dem koffer in ihrer hand fragte, kamen wir ins gespräch. ein besonderer moment. nicht lang, nicht überirdisch intensiv, aber überraschend, unerwartet. sie reiste ab. in dieser nacht. nach brasilien. drei wochen. sie war als physiotherapeutin am großen theater unserer stadt tätig. schon das zweite mal ins ausland dieses jahr. davor war es new york übers wochenende gewesen. der flieger ging in zwei stunden. krass. damit wusste ich nun zehnmal mehr über sie als noch vor einer minute. plötzlich kannte man sich fast, hatte eine verbindung, einen geteilten augenblick. etwas, das sich jahrelang nicht einstellen wollte. das letzte was sie sagte bevor sie sich verabschiedete war, dass sie eigentlich nicht mehr raus wollte. und schon war da mein trigger, der es mir wieder bewusst vor augen holte. ohne erklärung verschwand sie eine etage tiefer und ich eilte mit einem schiefen, gefrorenen lächeln nach oben. was bedeutete dies für sie? nicht mehr hinaus zu wollen? aus dem land? zur arbeit? aus der wohnung? und was bedeutete es für mich unbedingt und permanent dieses drängen nach außen zu spüren? ihm nachgeben zu wollen, mich aber nicht zu trauen? und wohin wollte ich dann überhaupt? wo war dieses draußen? vielleicht dachte ich mein gefühl verstehen zu können, wenn ich ihres verstände. wüsste ich, wo ihr draußen war, wüsste ich vielleicht wovon es mich wegzog. den schlüssel schon im schloss, machte ich kehrt, sprang auf den nächsten absatz und wirbelte um das geländer herum. sie würde wahrscheinlich schon abgefahren sein. dieser gedanke ließ mich innehalten. doch vielleicht hatte sie sich mehr zeit zum einladen gelassen als ich im kopf überschlagen hatte? nächster absatz. nächste etage. noch drei vor mir, unter mir. doch was erwartete ich? sie würde mich bestimmt für verrück, zumindest sonderbar, halten wenn ich sie danach fragte, wo sie eigentlich nicht mehr raus wollte. und die antwort wäre eine ganz profane. andererseits war sie schon älter und wüsste vielleicht um meine suche. und dass ich ihre antwort brauchte. sie schon so lange suchte. noch eine etage. treppenabsatz. haustür. wäre sie noch da, sie hätte sicherlich nicht mehr die zeit mir zuzuhören. ihr flieger würde wegen mir nicht warten. der platz vor dem haus war leer. die ampel. sie stand auf rot. und ich konnte die rücklichter eines wagens erkennen. also rannte ich, fast schon besessen von der idee, sie hätte meine antwort, auf die ich nicht bis zu ihrer rückkehr warten konnte. ich würde den wagen erreichen, dass sah ich, aber ich stoppte ab. aus mir nicht erklärbarem grund? zweifel ließ mich nicht weiterlaufen. die angst vor der antwort, die ich für mich schon wusste und nicht hören wollte. ich spürte, dass meine nachbarin sie nicht nur gefunden hatte, sondern schon lebte... nicht mehr aus dem eigenen leben rauswollen. glücklich sein mit dem was einem gegeben. warum lächelt man sonst, wenn man vor vier uhr morgens aufstehen muss? geworfen und getroffen durch autor
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