2007-03-28 15:39
das rauschen der frauen

ich mag es wenn mir leute von frauen erzählen. von großen und kleinen und mittleren. von blonden, brünetten, schwarzhaarigen oder kahlgeschorenen. seien es ihre eigenen oder die von anderen. oder geliebte, freunde, verwandte. es sind diese flüchtigen momente in ihren erzählungen, in denen ich so tief in ihre worte eintauche, daß ich zu diesen frauen werde. zumindest zu dem bild, das mir die leute von ihnen malen.
mit männern über die mir erzählt wird funktioniert das nicht. nicht, daß geschichten über diese seite der welt nicht auch spannend und ebenso fesselnd wie interessant oder skurril seien. doch es kommt einfach nicht der augenblick indem der film der ereignisse, mit dem man im kopf dem gehörten folgt, zur realität wird. dieser kurze rauschhafte abschnitt in der zeit, der wie ein steile rutsche auf dem kinderspielplatz erwartet und dabei doch überraschend plötzlich die ebenen wechselt. in den zustand wenn die vorstellungen einer handlung oder eines ortes plastisch werden.
in diesem moment der transformation von gedanke zu welt, in diesem moment liegt der quell meines lebens. in diesem moment ist alles was davor war oder für danach geplant ist vergessen. es zählt nicht der lange tag, die schwere der arbeit, die verpflichtungen der familie und freunde. alle gebrechen meines alters und auch die sehnsüchte für das morgen verlassen mich und ich bin frei, tatsächlich frei, mich hinzugeben an etwas, das nicht mir gehört, das ich nicht festhalten kann über den moment hinaus.
und so erkannte ich, worin glück liegt. ja, worin glück sogar gefangen liegt, wie man sagt. man findet es nicht im besitz von dingen oder in der sicherheit eines langen lebens, seien sie scheinbar auch so wertvoll und sei es scheinbar auch so erfüllt. das wirkliche glück liegt in den momenten zwischen den augenblicken des wachseins. im übergang, in der zeit da der atem vom ein zum aus umkehrt und sich nichts bewegt.
am anfang kamen diese spielplatzrutschenerlebnisse, das wechseln der ebenen, ganz sanft. als mein vater mir von meiner mutter erzählte. nach ihrem tod. ich dachte damals dieses gefühl hinge mit ihrem fortgang zusammen, mit meiner trauer. doch es kam wieder als er mir später von seiner verlorenen schwester berichtete, von der er nicht einmal mutter hatte wissenlassen. seine erzählungen über die wenigen jahre, die sie geschwister waren wirken auf mich wie hörspiele hören und dabei ohne pause kettenkarussell fahren. das intensivierte sich als mein bruder mir von seinen töchtern, meine töchter mir von den enkelinnen oder mein sohn mir von seinen frauen erzählten.
ich war immer die gespannteste zuhörerin. man sagte mir, meine augen glänzten wie die eines kindes, daß einen engel sieht. dabei bemerkten sie den unterschied nicht. wenn sie von weiblichen wesen sprachen quoll ich über vor freude und spannung, während die geschichten vom gegenteiligen geschlecht mich meist nur in einen zustand geduldiger erwartung versetzten.
ich wurde süchtig nach den geschichten von frauen aus der nachbarschaft. über den krieg, ihre kindheit, den aufbau und ihre jahre als junge eltern. über ihre enkelinnen und cousinen. man lud mich ein, weil ich so angenehme gesellschaft war und immer ein offenes ohr hatte. und so lernte ich die freunde der frauen aus der nachbarschaft kennen. und deren familien und erinnerungen.
doch dann reichten diese geschichten nicht mehr aus. sie verloren ihren rausch, wenn sie zu häufig erzählt wurden. zu oft ging es in ihnen auch um männer und die sorgen des alltags. aber ich musste neue menschen treffen, die mir von neuen frauen erzählten. mich hungerte nach weiblichem leben. geschichten über frauen wurden für mich das menschliche blut für vampire.
so kam es das mein freundeskreis stetig zu wechseln begann und ich zudem mit mehr männern als frauen verkehrte, was in meinem alter unter meinen altersgenossen für durchaus unangenehme gerüchte sorgte. mich hingegen sorgte das nicht, denn die gerüchte brachten mehr neugier unter den männer auf mich zu treffen und ich bekam was ich brauchte.
doch so unglaublicher der rausch der momente wurde, so sehr ich mir von den geschichten lebensenergie für mich und die aufgaben in meiner familie auch holen konnte, so größer wurde die abhängigkeit von den anderen. ich lebte vom glück der um mich lebenden menschen. nicht mehr die augenblicke meines lebens, sondern die der anderen machten mich froh. und doch begann auch die art von rausch mich zu langweilen, da es immer dieselbe war. je mehr ich die lebensgeschichten anderer frauen aufsog, desto weniger sah ich meine eigene.
bis ich anfing mir selbst meine geschichte zu erzählen und mich damit zum einem einzigartigen wechsel der ebenen aufmachte, meinen eigenen moment des unendlichen glücks zwischen den augenblicken zu erleben.

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update: 2015-11-13 12:20 

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